Neuerscheinung | Themenheft der Geographischen Zeitschrift
In der Geographischen Zeitschrift ist ein Doppelheft mit Beiträgen aus vielen Teilprojekten unseres Forschungsverbunds erschienen. Die Einleitung ist frei abrufbar, alle weiteren Beiträge sind über Bibliotheken mit Abonnement via ingentaconnect zu beziehen.
Die Zeitdiagnose „neoliberal“ ist seit den 1990er Jahren, verstärkt noch durch die Wirtschafts– und Finanzkrise seit dem Jahr 2008, in Bezug auf viele gesellschaftlichen Bereiche gängig geworden: Ein neoliberalisiertes Bildungssystem wird ebenso diagnostiziert wie eine neoliberalisierte Wirtschaftsordnung oder eben neoliberale städtische Entwicklungen. In den Sozialwissenschaften zielen die meisten Analysen auf eine Beschreibung und Erklärung gegenwärtiger Veränderungen im alltäglichen Zusammenleben und ihrer Verbindung zu neoliberaler Theorie und Politik. Seltener sind Perspektiven vorzufinden, die nicht nur neoliberale Umformungen konstatieren, sondern darüber hinaus die gemachten Beobachtungen in eine konzeptionelle Debatte über Neoliberalismus selbst überführen. In dem Fall ginge es darum, auch Ambivalenzen und Brüche innerhalb des Neoliberalen zu thematisieren, damit dessen Prozesshaftigkeit deutlicher begriffen werden kann. Diesen Anspruch hat das vorliegende Themenheft, das Beiträge zu neoliberalen Neuordnungen des Städtischen vereint, die an empirischen Analysen auch theoretisch-konzeptionelle Einordnungen zum gegenwärtigen Status der Neoliberalisierung in Städten vornehmen. Den Hintergrund für alle Beiträge bilden gemeinsame Diskussionen der Autor_innen zum Begriff des Neoliberalismus und seiner Relevanz in der Stadtforschung.
Seite 125–131
Bernd Belina / Susanne Heeg / Robert Pütz / Anne Vogelpohl
Neuordnungen des Städtischen im neoliberalen Zeitalter – Zur Einleitung
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Reshaping the Urban in Neoliberal Times: Introduction to the Discussion
Zusammenfassung
In diesem konzeptionell-theoretischen Aufsatz wird der Beitrag des foucaultschen Gouvernementalitätsansatzes für die Deutung und Erklärung städtischer Neuordnungsprozesse im neoliberalen Zeitalter diskutiert. Dazu wird sowohl auf die Vorlesungen von Michel Foucault aus dem Jahr 1979 und Texte weiterer Gouvernementalitätsforscher_innen als auch auf jüngere, internationale Beiträge aus Geographie und Stadtforschung zurückgegriffen. Zunächst werden zentrale Erkenntnisse der gouvernementalen Analyse des Neoliberalismus vorgestellt (Regieren auf Grundlage der Ökonomie und Regieren über Gemeinschaft, Verantwortung und Partizipation), um anschließend zu zeigen, wie diese Analysen in der Stadtforschung aufgegriffen und weiterentwickelt wurden. In einem Ausblick wird diskutiert, inwiefern die Gouvernementalitätsforschung einen entscheidenden Beitrag für die derzeitige Stadtforschung leisten als auch die Stadtforschung Erkenntnisse der Gouvernementalitätsforschung vorantreiben kann.
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Governing (in) the neoliberal city
The Foucauldian analysis of neoliberalism as a contribution to urban research
Abstract
The focus of this theoretical-conceptual article is the contribution of the Foucauldian governmentality approach for the understanding of processes of re-ordering the urban in the age of neoliberalism. For this reason, it reviews Foucault’s original lectures from 1979 and of other governmentality scholars as well as recent work from urban geography and urban studies. Two main insights of the Foucauldian analysis of neoliberalism will be presented and it will be shown, how urban scholars have made use of and developed further these insights in their analysis of neoliberal urban governance: a) the art of exercising power and governing society in the form, and according to the model, of the economy and b) governing through community, responsibility, and participation. In an outlook it is discussed in how far the governmentality approach can contribute to urban geography and urban studies and vice versa.
Zusammenfassung
Im Anschluss an Foucaults Analytik der Gouvernementalität untersucht der Aufsatz Räume des betreuten Wohnens für Wohnungslose als Interventionsfeld des Regierens. Statt aus exklusionstheoretischer Perspektive auf die Ursachen und Formen des Ausschlusses von Wohnungslosen zu fokussieren, fragt die Untersuchung, welche Praktiken das Interventionsfeld der Wohnungslosenhilfe aktuell bilden, welches Problemverständnis in Räumen des betreuten Wohnens wirksam wird und was dieses praktische Feld der Bearbeitung von Wohnungslosigkeit über den gegenwärtigen gesellschaftlichen Umgang mit Exklusionsphänomenen in der Stadt erzählen kann. Anhand einer Fallstudie in Berlin rekonstruiert die Analyse das Regieren der Wohnungslosigkeit als ein differenziertes Netz von Hilfs-, Aktivierungs– und Normalisierungsmaßnahmen.
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The governing of homelessness in spaces of care
Abstract
Following Foucault’s analysis of governmentality, the paper examines spaces of assisted living for the homeless as a contemporary field of governing. The paper proposes to analyse the problematizations and practices that currently constitute the governing of homelessness and to understand spaces of care for the homeless as a specific field of governmental intervention. Building on an empirical case study in Berlin, the paper retraces the problematizations of homelessness and practices of support, activation and normalization that shape assisted living facilities and discusses what the governing of homelessness in these spaces can tell us about contemporary answers to exclusion in the city.
Zusammenfassung
Integrationspolitik ist in Deutschland in den letzten Jahrzehnten einer grundlegenden Neuordnung unterworfen worden, bei der die Stadt und vor allem der »Sozialraum« im Stadtteil als zentrale Handlungsebenen der Integrationspolitik konzipiert wurden: »Integration findet vor Ort statt« lautet einer der entsprechenden Leitsätze der neuen politischen Strategien. Der Beitrag analysiert diesen Paradigmenwechsel aus gouvernementalitätsanalytischer Perspektive am Beispiel der Integrationskonzepte der 20 größten Städte Deutschlands und stellt ihn in einen Zusammenhang mit übergeordneten Prozessen einer Neoliberalisierung des Städtischen.
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City Strategies on Diversity and Integration under Neoliberal Conditions
Strategic Management of Integration in Major German Cities
Abstract
Policies of integration have been reinvented and rescaled in Germany over the last decades. Cities and neighborhoods have been discussed as important spaces of intervention: »Integration is local« is one of the slogans of this discourse. The paper discusses this new paradigm in terms of governmentality drawing on insights from integration strategies in Germany’s 20 largest cities. It relates this policy change to the more general changes in urban policy and rationality that have been discussed as the neoliberal re-ordering of cities.
In dem Beitrag beschäftigen wir uns mit der Frage, wie sich die Wahrnehmung von und der Umgang mit Liegenschaften im öffentlichen Besitz mit der Einführung von Instrumenten des Neuen Steuerungsmodells (NSM) verändert hat. Im ersten Abschnitt fassen wir die Etablierung neuer betriebswirtschaftlicher Formen von Verwaltungssteuerung und –handeln unter dem Label NSM zusammen. Daran anschließend betrachten wir anhand der Innen– und Außendimension des NSM den strategischen Gehalt der NSM-Reformen. Vor diesem Hintergrund erläutern wir im zweiten Abschnitt des Artikels erstens die Einführung von NSM-Instrumenten in der Berliner Bezirksverwaltung und zweitens die Gründung des Liegenschaftsfonds Berlin (LFB), um abschließend die Wechselwirkungen beider Reformen hinsichtlich der Berliner Liegenschaftspolitik seit den 2000er Jahren zu analysieren.
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Neoliberal reordering of urban administrations using the example of the Liegenschaftsfonds Berlin
Abstract
In this paper we look at the issue of how the perception and handling of publicly owned real estate has changed with the introduction of the Neues Steuerungsmodells (NSM). In the first section we summarize new economic forms of public administration management and action under the NSM. Following this we consider the strategic dimension of the internal and external dimension of the NSM reforms. In the second part of the article we firstly discuss against this background the introduction of NSM instruments in the district administration of Berlin and secondly the founding of the Liegenschaftsfonds Berlin (LFB). Finally we analyze the interactions of both reforms in regard to the Berlin property policy since the 2000s to identify processes of re-ordering the city.
Zusammenfassung
In dem Beitrag betrachten wir am Beispiel eines Business Improvement Districts (BID) und eines Public Private Partnerships (PPP) in Frankfurt am Main, welche Bedeutung Aneignungen global verfügbarer Politikmodelle für urbane Neuordnungsprozesse haben. Dabei diskutieren wir die Rolle diskursiver Einbettungen, Kontextualisierungspraktiken und Machtkonstellationen als zentrale Momente für die Adaption sowie Transformation mobilisierter Politiken. Im Zentrum steht vor dem Hintergrund der Debatte um policy mobilities die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Ausprägungen eines »actually existing neoliberalism« (Brenner und Theodore 2002) und seines Verhältnisses zu anderen Logiken städtischen Regierens.
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Urban Policy Mobility Studies and the Entrepreneurial City
Contextualizing BID and PPP as Globalized Policy Models in Frankfurt, Main
Abstract
In this paper, we discuss the relevance of mobilized policy models for urban restructuring processes. The purpose of analyzing a Business Improvement District (BID) and a public-private partnership (PPP) in Frankfurt (Main) is to examine the importance of discursive embedding, practices of contextualization and configurations of power for the adaptation and transformation of those policy models. We consider the analysis of policy mobilities as crucial for the understanding of variegated forms of »actually existing neoliberalism« (Brenner/Theodore 2002) and logics of urban governing.
Der Beitrag greift mit »Paradoxie« eine Perspektive auf, um widersprüchlich erscheinende, eng aneinander gekoppelte städtische Entwicklungen verstehbar zu machen. Gegenläufigkeiten und Brüche im Prozess der Neoliberalisierung der Städte werden analytisch bisher entweder kaum beachtet oder als Einfallstore für widerständige Gegenprojekte gedeutet. Nach einer Ausarbeitung des Paradoxiekonzeptes, das an das Modell der »Paradoxien des gegenwärtigen Kapitalismus« (Honneth 2002a) anknüpft, skizzieren wir (a) das Paradox der Homogenisierung durch Differenzierung im Prozess der Inwertsetzung innenstädtischer Quartiere, (b) das Paradox der Ausgrenzung durch Mitbestimmung im Zuge von Partizipationsverfahren in Stadtplanung und –politik sowie © das Paradox des Lokalismus durch Globalisierung in der allgemeinen Städtekonkurrenz.
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Paradoxes of the Neoliberal City
Abstract
Up to now, the analysis of breaks and ruptures within the process of the neoliberalization of cities is generally lacking. When taken into consideration, such ruptures are mostly framed as entry points for resisting counter-movements. This paper instead builds on the concept of »paradoxes« for grasping urban processes that are seemingly contradictory, but in fact are closely related. We first elaborate the paradox-concept, employing the model of »paradoxes of contemporary capitalism« (Honneth 2002a). Then we exemplify (a) the paradox of homogenization through differentiation in the valorization process of central urban neighborhoods, (b) the paradox of exclusion through participation in urban planning and politics and © the paradox of localism through globalization within the urban competitiveness.
