Veranstaltungshinweis | Kritische Polizeiforschung in Deutschland
Tagung | Kritische Polizeiforschung in Deutschland - Stand und Perspektiven
8.-9.2.2013 | Goethe-Universität Frankfurt | Organisation: Kendra Briken & Jenny Künkel
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Unter den Bedingungen fortgeschrittener Neoliberalisierung reformiert sich das Feld der Polizei. Was heißt dies für die Institution? Was passiert mit und in urbanen Räumen? Ist kritische Polizeiforschung überhaupt möglich?
Es diskutieren u.a.: Maja Apelt, Rafael Behr, Bernd Belina, Kendra Briken, Helga Cremer-Schäfer, Volker Eick, Mélina Germes, Andreas Häberle, Christiane Howe, Anna Kern, Andrea Kretschmann, Jenny Künkel, Christian Mouhanna, Markus Müller, Detlef Nogala, Lars Ostermeier, Michael Sturm und Eric Töpfer.
Tagungsort ist das Institut für Humangeographie, Robert-Mayer-Str. 6–8, 60325 Frankfurt, Raum 302; Karte
Wir bitten um Anmeldung bis 20.1.2013 unter: jkuenkel [at] em.uni-frankfurt.de
Die Tagungsteilnahme ist kostenlos.
Gefördert von der Fritz Thyssen Stiftung
Näheres zu den Zielen der Tagung
a) Problemstellung
Die Institution Polizei unterlag seit den 1990er Jahren vielfältigen Restrukturierungsprozessen. Neben dem Aufbau der Polizeien in Ostdeutschland ist hier insbesondere die Einführung Neuer Steuerungselemente auch bei der Polizei zu nennen; schließlich hat sich auch das Aus– und Weiterbildungskonzept tiefgreifend gewandelt. Diese Veränderungen sind von Forscher/innen verschiedener sozialwissenschaftlicher Disziplinen analysiert. Konzediert wurde
- ein verstärkter Fokus auf Ordnung und eine entsprechende Ausweitung substrafrechtlicher Eingriffsbefugnisse (z.B. durch Aufenthaltsverbote in Polizeigesetzen; städtische Verordnungen, vgl. Belina/Wehrheim 2011),
- die Etablierung eines „Kontrollmix“ (vgl. Beste 2000, Eick 2011) verschiedener Sicherheitskräfte (v.a. Landes-, Bundes-, Stadt– und freiwillige Polizei, private Sicherheitsdienste, zweiter Arbeitsmarkt, sowie zunehmend auch Soziale Arbeit),
- bereits seit den späten 1980ern eine Verstärkung der präventiven – also frühzeitigen, auch repressiven – Bekämpfung von Kriminalität– und Ordnungsstörungen (nicht zuletzt durch städtebauliche Maßnahmen und Videoüberwachung, vgl. Zurawski/Czerwinski 2008),
- ein Rescaling durch Internationalisierung der Polizei (Up-Scaling) sowie begrenzte Tendenzen eines Down-Scaling (z.B. durch Stadtpolizeien, Community Policing und kommunale Kriminalprävention, vgl. Behr 2001),
- eine auf Effizienz und Einsparung gerichtete innere Restrukturierung des Polizeiapparats (z.B. durch Einführung des Neuen Steuerungsmodells, vgl. Lange/Schenk 2004)
Bislang allerdings, so ist festzustellen, ist das Zusammenwirken und Konfligieren verschiedener Wandlungstendenzen bisher nur wenig untersucht.
b) Stand der Forschung
Dieses Forschungsdesideratum ist einerseits überraschend, denn Polizeiforschung in Deutschland ist durchaus traditionsreich und vielfältig (vgl. Busch et al 1988, Ohlemacher1999, Behr 2003, Reichertz 2002, Mensching 2003, Feltes2007). Aller Tradition zum Trotz leidet das Feld indes unter zwei Tendenzen, die in der Wissenschaft als „Qualitätsmerkmale“ gelten: starker Praxisbezug und hohe Interdisziplinarität. Das Forschungsgebiet hat damit großes Potential mit Blick auf seine Praxisrelevanz erhalten, doch ermangelt es der dieser bis dato und insbesondere mit Blick auf den internationalen Forschungsstand zum Teil noch an Wissenschaftlichkeit.
Im angelsächsischen Raum erhielten wissenschaftliche Standards zumindest im Sinne einer positivistischen, quantitativ orientierten Wissenschaft bereits in den 1990er Jahren Einzug in die angewandte Forschung (am prominentesten: What works?–Ansatz; Sherman et al 1997). In Deutschland hingegen ist eine wissenschaftliche Fundierung der Polizeiarbeit – Intelligence-led-Policing –bis heute wenig etabliert (vgl. jedoch die Arbeiten des Kriminalistischen Instituts (KI) des BKA).Führende polizeiliche Fachzeitschriften wie die Kriminalistik oder Die Polizei bleiben trotz Akademisierung der Polizei geprägt von einem hohen Anteil an Praxisberichten, die nicht auf Evaluationsstudien zurückgreifen können (kritisch: Aden 2003).
Die nicht unmittelbar angewandte, unabhängige Polizeiforschung an Universitäten hingegen versammelt zwar eine große Zahl wissenschaftlich fundierter, oft qualitativer Studien aus verschiedenen Fachrichtungen. Vertreten sind insbesondere die(Sub-)Disziplinen Arbeits– und Organisationssoziologie (z.B. Brüchert 2005, Behr 2006, Mensching 2008, Briken/Eick 2011), Stadtgeographie und –soziologie (z.B. Belina 2006, Eick et al 2007, Hunold 2008, Schreiber 2011), Politikwissenschaften (z.B. Pütter 2006, Eick 2010, Flörsheimer 2012), Kriminologie und Rechtswissenschaften(z.B. Feltes 2009, Buckel/Wissel 2011) sowie Erziehungswissenschaften und Sozialwesen (Cremer-Schäfer/Amos 2007, Möller 2009). Doch die Forschungen bleiben weitgehend unverbunden und zielen oftmals vorrangig auf ein Wirken innerhalb der eigenen Fachdisziplin. Die Institution Polizei wird aus interdisziplinärer Perspektive nicht systematisch betrachtet.
c) Ziel der Konferenz
An dieser Stelle setzt die Konferenz an. Ziel ist es, einen Überblick über den Stand der Polizeiforschung in Deutschland zu erhalten, Forscher/innen aus verschiedenen Disziplinen zu vernetzen[1] (wenn möglich durch Gründung eines DFG-Netzwerks), Methodenwissen auszutauschen und nicht zuletzt den gegenwärtigen Wandel von Subjektivitäten, Strategien, Diskursen, Organisationstrukturen und gesellschaftlichen Einbettungen der Polizei zu eruieren.
Die Konferenz stellt einen für den deutschen Kontext erstmaligen Schritt dar, einen Dialog in Gang zu bringen und ausgehend von den bereits existierenden informellen Kontakten ein stabileres Netzwerk aufzubauen. Ziel ist es, eine Landkarte der Polizei(en) in Deutschland unter den Bedingungen fortgeschrittener Neoliberalisierung zu erstellen und weitere Forschungsperspektiven zu formulieren.
Quellen:
Aden, Hartmut (2003): Polizeinahe Fachzeitschriften — Formen und Grenzen des Einflusses auf polizeiliche Deutungsmuster und politische Entscheidungsprozesse. In: Hans-Jürgen Lange (Hrsg.): Die Polizei der Gesellschaft: zur Soziologie der Inneren Sicherheit. Leske und Budrich: Opladen, S. 357–376.
Behr, Rafael (2001): Rekommunalisierung von Polizeiarbeit: Rückzug oder Dislokation des Gewaltmonopols? Vortrag anlässlich der Tagung der Sektion »Staatslehre und politische Verwaltung« u.a. an der PFA Münster vom 17.-19.5.2001. In: http://www.rafael-behr.de/pics/rekommunalisierung.pdf.
Behr, Rafael (2003): Polizeiforschung als Kontrolle der Kontrolleure? In: Herrnkind, Martin/ Scheerer, Sebastian (Hrsg.): Die Polizei als Organisation mit Gewaltlizenz. Möglichkeiten und Grenzen der Kontrolle. Hamburger Studien zur Kriminologie und Kriminalpolitik Band 31. Münster, S. 221–259.
Behr, Rafael (2006): Polizeikultur. Routinen – Rituale – Reflexionen. Bausteine zu einer Theorie der Praxis der Polizei,Verlag für Sozialwissenschaften: Wiesbaden.
Belina, Bernd & Jan Wehrheim (2011): „Gefahrengebiete“. Durch die Abstraktion vom Sozialen zur Reproduktion gesellschaftlicher Strukturen. In: Soziale Probleme 23(2): 207–230.
Belina, Bernd (2006): Raum, Überwachung, Kontrolle. Vom staatlichen Zugriff auf städtische Bevölkerung. Westfälisches Dampfboot: Münster.
Beste, Hubert (2000): Morphologie der Macht. Urbane ›Sicherheit‹ und die Profitorientierung sozialer Kontrolle, Leske + Budrich: Opladen.
Briken, Kendra & Volker Eick (2011): Recht und billig? Wachschutz zwischen Niedriglohn und Ein-Euro-Jobs. In: Kritische Justiz, 44 (1), S. 34–42.
Brüchert, Oliver (2005): Autoritäres Programm in aufklärerischer Absicht. Wie Journalisten Kriminalität sehen, Westfälisches Dampfboot: Münster.
Buckel, Sonja/ Wissel, Jens (2011): Tatort – Frontex. In: Westend. Neue Zeitschrift für Sozialforschung, Heft 01/2011, S. 158–167.
Busch, Heiner/ Funk, Albrecht/ Kauß, Udo/ Narr, Wolf-Dieter&Werkentin, Falco (1988): Die Polizei in der Bundesrepublik, Campus:Frankfurt/Main.
Cremer-Schäfer, Helga & Karin Amos (2007, Hrsg.): Saubere Schulen. Vom Ausschließen und Ausbrechen Jugendlicher, Jahrbuch für Rechts– und Kriminalsoziologie 2005, Nomos: Baden-Baden.
Eick, Volker (2010): A Neoliberal Sports Event? The FIFA from the Estadio Nacional to the fan mile. In: CITY. Analysis of urban trends, culture, theory, policy, action, 14 (3), S. 278–297.
Eick, Volker (2011): Lokale Kriminal– und Sicherheitspolitik. In: Heinz-Jürgen Dahme, Norbert Wohlfahrt (Hrsg.), Handbuch Kommunale Sozialpolitik. VSA: Hamburg, S. 294–305.
Eick, Volker/ Sambale, Jens und Eric Töpfer (2007, Hrsg.): Kontrollierte Urbanität. Zur Neoliberalisierung städtischer Sicherheitspolitik, transcript: Bielefeld.
Feltes, Thomas (2007): Polizeiwissenschaft in Deutschland. Überlegungen zum Profil einer (neuen) Wissenschaftsdisziplin. In: Polizei und Wissenschaft 4/2007 , S. 2 – 21
Feltes, Thomas (2009, Hrsg.): Polizieren. Polizei, Wissenschaft und Gesellschaft. Band 1 der Reihe »Neue Wege, neue Ziele. Polizieren und Polizeiwissenschaft im Diskurs«. Verlag für Polizeiwissenschaft, Frankfurt.
Flörsheimer Florian (2012): Transformationsprozesse des Sicherheitssektors im Neoliberalismus. Nomos: Baden-Baden.
Hunold, Daniela (2008): Migranten in der Polizei. Zwischen politischer Programmatik und Organisationswirklichkeit, Verlag für Polizeiwissenschaften: Frankfurt/Main.
Lange, Hans-Jürgen/Schenck, Jean-Claude (2004): Polizei im kooperativen Staat – Verwaltungsreform und Neue Steuerung in der Sicherheitsverwaltung, VS-Verlag: Wiesbaden.
Mensching, Anja (2003): Überzeugende Zweifel statt zweifelhafte Überzeugungen – ein verstehender Blick auf die Hermeneutische Polizeiforschung. In:Forum Qualitative Sozialforschung4(3). In: http://www.qualitative-research.net/index.php/fqs/article/view/687/1485 [Zugriff: 28.6.2012].
Mensching, Anja (2008): Gelebte Hierarchien. Mikropolitische Arrangements und organisationskulturelle Praktiken am Beispiel der Polizei, VS: Wiesbaden.
Möller, Kurt (2009, Hrsg.): Dasselbe in grün?: Aktuelle Perspektiven auf das Verhältnis von Polizei und Sozialer Arbeit. Juventa: Weinheim und München.
Ohlemacher, Thomas (1999): Empirische Polizeiforschung in der Bundesrepublik Deutschland — Versuch einer Bestandsaufnahme. Forschungsbericht des KFN 75. In: http://www.kfn.de/versions/kfn/assets/fb75.pdf [Zugriff: 28.6.2012].
Pütter, Norbert (2006): Polizei und kommunale Kriminalprävention. Formen und Folgen polizeilicher Präventionsarbeit in den Gemeinden. Verlag für Polizeiwissenschaft: Frankfurt am Main.
Reichertz, Jo (2002): Prämissen einer hermeneutisch wissenssoziologischen Polizeiforschung. In:Forum Qualitative Sozialforschung 3(1). In: http://www.uni-due.de/imperia/md/content/kowi/fqs-kriminologie.pdf [Zugriff: 28.6.2012].
Schreiber, Verena (2011): Fraktale Sicherheiten. Eine Kritik der kommunalen Kriminalprävention. Transcript: Bielefeld.
Shermann, Lawrence W./Gottfredson, Denise C./ MacKenzie, Doris L./ Eck, John/ Reuter, Peter & Shawn D. Bushway (1997): Preventing Crime: What works, what doesn’t, what’s promising?Selbstverlag des Department of Criminology and Criminal Justice.In: https://www.ncjrs.gov/works [Zugriff: 28.6.2012].
Zurawski, Nils & Stefan Czerwinski (2008): Crime, Maps and Meaning: Views from a Survey on Safety and CCTV in Germany. In: Surveillance & Society, Vol. 5 (1), S. 51–72.
[1] Dies baut auf eine bereits bestehende informelle Vernetzung des DFG-Projekts „Policing American Style Frankfurt am Main? (DFG CR 92/6–1)“ mit dem Teilprojekt Polizei im Rahmen des Sonderforschungsbereichs „Staatlichkeit im Wandel (Sfb 597)“ sowie dem BMBF-Projekt „Intelligence-led-Policing – Strategien zur Stabilisierung, Professionalisierung und Qualifizierung der Polizei in komplexen urbanen Ballungsräumen (CODISP)“ auf.

